Substanz Hauptseite
Genexpressionen
Christiane Löll
« Ich will, dass die Erkenntnisse beim Patienten ankommen »

Carsten Denkert ist leitender Oberarzt am Institut für Pathologie der Charité in Berlin.

Er leitet dort die AG Translationale Tumorforschung und Molekulare Pathologie. Diese Arbeitsgruppe sucht in Tumorgeweben nach biologischen Eigenschaften (Biomarkern), mit deren Hilfe sich besser einschätzen lässt: Welche Art von Tumor liegt vor? Wie wird er sich verändern? Auf welche Behandlung wird er ansprechen?

Von 2008 bis 2011 koordinierte Denkert außerdem das EU-geförderte Forschungsprojekt Metacancer, bei dem untersucht wurde, ob die Stoffwechselprodukte des Körpers, das Metabolom, als Biomarker für Brustkrebs dienen können.

Die meisten seiner Patientinnen hat Carsten Denkert nie gesehen, aber seine Arbeit entscheidet mit darüber, ob sie eine Chemotherapie bekommen. Denkert ist Pathologe, er untersucht die Gewebeproben, die der Gynäkologe aus der Brust entnimmt. Sehen die Zellen nach einem gutartigen Tumor aus? Oder einem bösartigen? Und wenn er bösartig ist, wie aggressiv ist er? Es gibt verschiedene Kriterien für das Beurteilen der Aggressivität von Tumorgewebe, darum kann es auch zu verschiedenen Einschätzungen kommen – ein anderer Pathologe würde dieselbe Probe womöglich als bedrohlicher oder harmloser einstufen. Können Gentests helfen, diese Unsicherheit zu beseitigen?

Die meisten seiner Patientinnen hat Carsten Denkert nie gesehen, aber seine Arbeit entscheidet mit darüber, ob sie eine Chemotherapie bekommen. Denkert ist Pathologe, er untersucht die Gewebeproben, die der Gynäkologe aus der Brust entnimmt. Sehen die Zellen nach einem gutartigen Tumor aus? Oder einem bösartigen? Und wenn er bösartig ist, wie aggressiv ist er? Es gibt verschiedene Kriterien für das Beurteilen der Aggressivität von Tumorgewebe, darum kann es auch zu verschiedenen Einschätzungen kommen – ein anderer Pathologe würde dieselbe Probe womöglich als bedrohlicher oder harmloser einstufen. Können Gentests helfen, diese Unsicherheit zu beseitigen?

Denkert ist davon überzeugt. Als Wissenschaftler – und als Unternehmer: Er ist Mitgesellschafter beim deutschen Biotech-Unternehmen Sividon Diagnostics, dessen Gentest er mit entwickelt hat. Wenn er vor Fachkollegen auftritt, legt er seinen Interessenkonflikt offen: Die Firma profitiert von jedem Kollegen, der sich für ihren Test entscheidet und nicht für die Tests der Konkurrenz. Arzt und Unternehmer – wie geht das zusammen? Und warum lässt Denkert sich auf diese Doppelrolle ein?

Rauschen von Labormaschinen, Kollegen, die mit Materialien hantieren, ein Kommen und Gehen von Chirurgen und OP-Personal: Die Geräusche im Hintergrund des Gesprächs mit Carsten Denkert stammen aus einem Schnellschnittlabor. Hier wird das Gewebe untersucht, das bei Krebsoperationen entnommen wurde – während die Patienten noch in Narkose liegen. Die Pathologen müssen sofort einschätzen: Wie bösartig ist das, was die Chirurgen herausoperiert haben? Haben sie den Tumor komplett erwischt? Damit sich Carsten Denkert konzentrieren kann, wenn seine Arbeit gefragt ist, unterbrechen wir das Gespräch regelmäßig und schalten das Aufnahmegerät aus, wenn es um Patienten geht.
« Nichts ist schlimmer, als einen schlechten Test zu nehmen »

Nadia Harbeck ist Professorin an der Frauenklinik der Universität München, wo sie das Brustzentrum und die onkologische Tagesklinik führt.

Sie gehört zur wissenschaftlichen Leitung der Westdeutschen Studiengruppe, einer als GmbH organisierten Forschungsstelle, die Brustkrebs-Studien an verschiedenen Kliniken durchführt.

Am gemeinsamen Tumorzentrum der Münchner Universitäten ist die Gynäkologin stellvertretende Leiterin der Projektgruppe Mammakarzinom.

Harbeck sitzt in mehreren nationalen und internationalen Expertenkommissionen.

Ist die Zeit reif für Gentests in der Krebsmedizin? Wer diese Fragen beantworten will, kommt an Nadia Harbeck nicht vorbei. Als wissenschaftliche Leiterin der Westdeutschen Studiengruppe analysiert sie, wie Gentests die Krebstherapie beeinflussen. Und als Leiterin des Brustzentrums des Klinikums der Universität München weiß sie, welche Hoffnungen Patientinnen auf die neuen Instrumente setzen.

Ist die Zeit reif für Gentests in der Krebsmedizin? Wer diese Fragen beantworten will, kommt an Nadia Harbeck nicht vorbei. Als wissenschaftliche Leiterin der Westdeutschen Studiengruppe analysiert sie, wie Gentests die Krebstherapie beeinflussen. Und als Leiterin des Brustzentrums des Klinikums der Universität München weiß sie, welche Hoffnungen Patientinnen auf die neuen Instrumente setzen.

Bei einem Drittel der Patientinnen, sagt Harbeck, können Ärzte anhand der üblichen Kriterien nicht immer klar entscheiden: Chemotherapie ja oder nein? Hier könnte ein Gentest helfen – aber welcher? Welcher ist am besten überprüft, welcher liefert in welchen Fällen die besten Ergebnisse? Solche Fragen muss Harbeck für ihre Fachkollegen beantworten: Sie arbeitet mit in der Leitlinienkommission Brustkrebs der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO).

Die Kommission hat sich zu vier Gentestverfahren geäußert. Die Empfehlung: Sie sollten „nur bei ausgewählten Patientinnen angewandt werden, wenn alle anderen Kriterien keine Therapieentscheidung zulassen“. Aber wann ist dieser Punkt erreicht? Das bleibt im Ermessen des Arztes – ebenso wie die Auswahl des Tests. Einen Sieger hat die AGO nicht gekürt.

Auf dem Gynäkologenkongress in München eilt Nadia Harbeck von Vortrag zu Vortrag, von Kommissionssitzungen zu Pressekonferenzen. Nach einem Symposium nimmt sie sich Zeit, um Fragen zu beantworten – in einem Pausenraum des Kongresszentrums bei einer Tasse Kaffee.
« Wir müssen testen, ob ein Heils- versprechen der Realität standhält »

Mit gesundheitspolitischen Streitthemen kennt Josef Hecken sich aus: Als saarländischer Gesundheitsminister (2004–2008) erlaubte er 2006 der niederländischen Versandapotheke Doc Morris, eine Filiale in Deutschland zu eröffnen – zum Ärger deutscher Apotheker, die dagegen klagten, letztlich erfolgreich: Doc Morris darf in Deutschland nur noch seine Marke an selbstständige Apotheken lizenzieren. Hecken wurde 2008 Leiter des Bundesversicherungsamts, später war er Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Seit 2012 ist er unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).

Ob die Krankenkassen einen Gentest bezahlen oder nicht, das hängt unter anderem von Josef Hecken ab. Der CDU-Mann entscheidet mit über Leistungen für rund 70 Millionen Kassenpatienten: Hecken ist Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – des obersten Selbstverwaltungsorgans der deutschen Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen. Auch Patientenvertreter gehören zum G-BA, dürfen aber nicht mit abstimmen.

Ob die Krankenkassen einen Gentest bezahlen oder nicht, das hängt unter anderem von Josef Hecken ab. Der CDU-Mann entscheidet mit über Leistungen für rund 70 Millionen Kassenpatienten: Hecken ist Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – des oberste Selbstverwaltungsorgans der deutschen Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen. Auch Patientenvertreter gehören zum G-BA, dürfen aber nicht mit abstimmen.

Die neuen Brustkrebs-Gentests lässt der G-BA gerade bewerten – von einem unabhängigen Institut mit dem sperrigen Namen IQWiG, das im Auftrag des G-BA und des Gesundheitsministeriums arbeitet, aber auch eigene Forschungen durchführen darf.

Auf den ersten Blick erscheinen die IQWiG-Forscher sehr mächtig: Sie beschreiben, welchen Aufwand ein Hersteller betreiben sollte, um den Nutzen seines Tests wissenschaftlich zu belegen. Sie bewerten, ob die vorliegenden Studien diese Gütekriterien erfüllen – und ob ihre Ergebnisse für eine Empfehlung sprechen.

Auf den ersten Blick erscheinen die IQWiG-Forscher sehr mächtig: Sie beschreiben, welchen Aufwand ein Hersteller betreiben sollte, um den Nutzen seines Tests wissenschaftlich zu belegen. Sie bewerten, ob die vorliegenden Studien diese Gütekriterien erfüllen – und ob ihre Ergebnisse für eine Empfehlung sprechen.

Doch im Gesundheitssystem geht es nicht immer um die reine Lehre. Der G-BA muss vermitteln zwischen verschiedenen Akteuren und ihren Interessen – weswegen er auch die IQWiG-Empfehlungen nicht immer eins zu eins umsetzt. Wie sieht Hecken diesen Spagat?

In der Berliner Wegelystraße liegen sie dicht an dicht, die Top-Adressen des deutschen Gesundheitssystems. Hier residieren hinter gleichförmigen Bürofassaden die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft – und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Der Hausherr Josef Hecken empfängt uns in einem Konferenzraum, mit dabei ist seine Pressesprecherin Kristine Reis.
« Ich muss diesen Menschen gerecht werden, die krank sind »

Der Gynäkologe Anton Scharl - Dauergast auf der Ärzte-Bestenliste des Magazins Focus - ist Chefarzt der Frauenklinik am Klinikum St. Marien Amberg, außerdem leitet er dort das Brustzentrum und das Gynäkologische Krebszentrum.

Scharl ist Sprecher der AGO-Kommission Mamma, die jedes Jahr Leitlinien für die Behandlung von Brustkrebserkrankungen aufstellt.

Mit den Heilsversprechen der Testhersteller hat Anton Scharl auf sehr handfeste Art zu tun: Er ist mitverantwortlich dafür, ob sich eine neue Methode in der Brustkrebstherapie etabliert oder nicht. Neben seinem Job als Chefarzt führt Scharl die Leitlinienkommission Mamma der AGO. In dieser sitzt auch Nadia Harbeck – als eine von etwa 40 Experten, die anhand wissenschaftlicher Daten bewerten, was als empfehlenswert gilt. Die Mitglieder müssen offenlegen, für welche Hersteller sie schon gearbeitet haben, von wem sie Honorare bekommen.

Mit den Heilsversprechen der Testhersteller hat Anton Scharl auf sehr handfeste Art zu tun: Er ist mitverantwortlich dafür, ob sich eine neue Methode in der Brustkrebstherapie etabliert oder nicht. Neben seinem Job als Chefarzt führt Scharl die Leitlinienkommission Mamma der AGO. In dieser sitzt auch Nadia Harbeck – als eine von etwa 40 Experten, die anhand wissenschaftlicher Daten bewerten, was als empfehlenswert gilt. Die Mitglieder müssen offenlegen, für welche Hersteller sie schon gearbeitet haben, von wem sie Honorare bekommen.

Auch bei den jährlichen „State Of The Art“-Konferenzen der AGO ist die Industrie präsent – wie das bei medizinischen Kongressen oft üblich ist. „Ohne Sponsoren wären solche Tagungen gar nicht möglich“, sagt Scharl. „Es gibt kein Geld von öffentlicher Hand, und auch die Kliniken bezahlen ihren Ärzten selten solche Fortbildungsveranstaltungen. Aber so eine Veranstaltung aufzubauen kostet etliche Zehntausend Euro.“

Gleich drei Gentesthersteller treten als „Silver Sponsor“ auf, als im Februar 2015 das Thema Genexpressionstests auf dem Programm steht. „Es will keiner fehlen, weil er Angst hat, dass er nicht gesehen wird“, sagt Scharl. Und zwar vor allem von den teilnehmenden Ärzten „und gar nicht so sehr von denjenigen, die die Leitlinien erarbeiten“. Tatsächlich sei in der Kommission in den letzten Jahren über kaum ein Thema so sehr gestritten worden wie über die Genexpressionstests. Worum ging es bei dem Streit?

Anton Scharl ist wie Nadia Harbeck sehr gefragt auf dem Gynäkologenkongress in München, diskutiert auf dem Podium über brennende Fragen der Brustkrebstherapie; über Genexpressionsanalysen und Strahlentherapie, über Tumorzellen, die im Blut zirkulieren, und zur Entfernung der Lymphknoten. Weil der Pausenraum zu unruhig ist, suchen wir uns für das Gespräch einen Platz in einer Ecke zwischen den Vortragssälen. Doch richtig ruhig ist es auch dort nicht.
« Der Test ist gut.
Ich bin Überzeugungstäter »

Der promovierte Chemiker Christoph Petry hat eine klassische Konzernkarriere hinter sich: 13 Jahre lang arbeitete er bei Bayer, vier weitere bei Siemens, wo er die Forschung an Biomarkern für die Krebsmedizin leitete. 2010 war er Teil des Teams, das Sividon Diagnostics ausgründete; seitdem ist er Geschäftsführer und Forschungschef des Biotech-Start-ups.

Die Turbulenzen am Biotech-Markt haben Christoph Petry vom Labor eines Großkonzerns in die Chefetage eines Start-ups geführt. Als das menschliche Genom entschlüsselt wurde, war der Chemiker Abteilungsleiter bei Bayer Diagnostics. Zusammen mit Hochschulforschern arbeitete seine Gruppe an einem Brustkrebs-Gentest. Doch das Projekt stand unter keinem guten Stern: Die Diagnostiksparte und somit auch Petrys Abteilung wurde an Siemens Medical Solutions verkauft. Und auch der neue Eigentümer habe das Interesse an dem Test verloren, berichtet Petry. Zusammen mit seinen Kollegen entschloss er sich zu einem Management-Buy-out, gründete das Biotech-Unternehmen Sividon Diagnostics und entwickelte den Test zu Ende.

Seit 2011 ist Sividons Test namens EndoPredict in Deutschland auf dem Markt, seitdem muss Petry viele Kämpfe austragen: Um die Kostenerstattung des Tests durch die Krankenkassen. Gegen Vorwürfe, er würde nicht genug beweiskräftige Studien über die Aussagekraft des Tests liefern. Gegen die starke Konkurrenz aus den USA – und um die Zulassung seines Tests auf diesem überlebenswichtigen Markt. Er bezeichnet sich selbst als Überzeugungstäter. Was hat ihn dazu gebracht, diesen steinigen Weg zu gehen?

Wer Sividon Diagnostics besuchen will, braucht erst eine Genehmigung: Das Start-up hat seinen Sitz auf einem abgesicherten Industrie- und Forschungsgelände in Köln. Bevor Geschäftsführer Christoph Petry uns durch die Produktionsstätten und Labore führt, geht es zum Vorgespräch in sein Büro, mit dabei ist Sividons Pressesprecherin Esther Linnenberg.
« I think this is an improvement for personalized medicine »

Elitärer Zirkel: Nach einem Ranking der Agentur Thomson Reuters gehört Charles Perou zum einen Prozent der am meisten zitierten Forscher im Feld der klinischen Medizin. Der Titel „Highly Cited Researcher“ reiht sich ein in die Liste der Forschungspreise, die der promovierte Zellbiologe für seine Forschung in der Tumorgenetik erhalten hat. Perou hat eine Professur für Genetik, Pathologie und Labormedizin an der University of North Carolina at Chapel Hill; er ist Gründer der Start-ups BioClassifier und GeneCentric Diagnostics.

Der Gentestpionier Charles Perou ist im Frühjahr 2015 zu Besuch in Deutschland und spricht auf einem Gynäkologenkongress – 15 Jahre, nachdem er als Nachwuchsforscher an der Stanford University eine bahnbrechende Studie veröffentlichte. Fachkollegen nennen ihn den „Godfather of Gene Expression“.

Der Gentestpionier Charles Perou ist im Frühjahr 2015 zu Besuch in Deutschland und spricht auf einem Gynäkologenkongress – 15 Jahre, nachdem er als Nachwuchsforscher an der Stanford University eine bahnbrechende Studie veröffentlichte. Fachkollegen nennen ihn den „Godfather of Gene Expression“.

Gemeinsam mit der Norwegerin Therese Sørlie untersuchte er, welche Gene in verschiedenen Brusttumoren exprimiert, also aktiv waren. Das Forscherduo erkannte: Es gibt verschiedene Muster dieser Genaktivität, und jedes Muster – auch Genexpressionsprofil genannt – steht für einen anderen Untertyp von Brustkrebs, jeder womöglich mit seiner eigenen Verlaufsprognose.

Der Gentestpionier Charles Perou ist im Frühjahr 2015 zu Besuch in Deutschland und spricht auf einem Gynäkologenkongress – 15 Jahre, nachdem er als Nachwuchsforscher an der Stanford University eine bahnbrechende Studie veröffentlichte. Fachkollegen nennen ihn den „Godfather of Gene Expression“.

Gemeinsam mit der Norwegerin Therese Sørlie untersuchte er, welche Gene in verschiedenen Brusttumoren exprimiert, also aktiv waren. Das Forscherduo erkannte: Es gibt verschiedene Muster dieser Genaktivität, und jedes Muster – auch Genexpressionsprofil genannt – steht für einen anderen Untertyp von Brustkrebs, jeder womöglich mit seiner eigenen Verlaufsprognose.

Inzwischen hat Perou sein eigenes Biotech-Unternehmen und zusammen mit dem Hersteller NanoString einen Test entwickelt. Seit 2013 wird dieser Test in Deutschland verkauft. Den Interessenkonflikt legt der Hochschulprofessor offen, zum Beispiel bei Vorträgen. Wie ist sein Blick auf den Streit um die Tests?

Am Abend vor seinem Vortrag auf dem Gynäkologenkongress hat sich Charles Perou mit einem Getränk unter die Ärzte in der Hotellobby gemischt. Der Stargast ist weniger umlagert als befürchtet und erklärt sich spontan bereit, am nächsten Tag ein Interview zu geben. Und er warnt: „Ich bin nicht neutral bei diesem Thema, und ich spreche nicht im Namen der Firma, die meinen Test herstellt.“ Am nächsten Tag erklärt er mir in einem Konferenzraum des Hotels seine Sicht auf den Streit.
Wie würden Sie entscheiden?
Der Versuch eines Resümees

„Einer Frau diesen Test vorzuenthalten, trotz aller Empfehlungen von wissenschaftlicher Seite und der großen Brustkrebskongresse in den USA und auch hier in Deutschland, gleicht in meinen Augen einer Körperverletzung ohnegleichen.“

„Mein Körper fühlte sich über lange Zeiträume an, als hätte ihn jemand mit einer Eisenstange malträtiert. Nach überstandener Chemotherapie ist es leider nicht vorbei. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen.“

Als ich diese Sätze im Sommer 2013 las, musste ich erst einmal schlucken. Sie stammten aus sehr emotionalen Briefen an den damaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Etwa 40 Schreiberinnen, alle Brustkrebspatientinnen, hatten sich direkt an ihn gewandt und die Briefe auch an Medien weitergeleitet. Denn einer der Gentests, von denen unsere Geschichte handelt, sollte plötzlich nicht mehr so einfach mit den Kassen abgerechnet werden können. Das war durch spezielle Abrechnungsziffern vorübergehend möglich gewesen.

Die Geschichte schien ein klarer Fall: Patientinnen wird hier etwas vorenthalten, was sinnvoll ist, was ihnen womöglich die Strapazen der Chemotherapie erspart. Und die Kassen blockieren Innovationen. Doch es stellte sich heraus, dass es nicht so einfach war.

Anrufe bei Kassenvertretungen ergaben: Die Studienlage reicht nicht aus, um zu sagen, dass diese Tests sicher sind und mehr Nutzen als Schaden verheißen. Ein Anruf bei einer Fachgesellschaft ergab: Die Tests sind gute Tests und können von großem Nutzen sein – aber nur für einzelne Frauen.

Wie konnten so unterschiedliche Perspektiven entstehen? Wurden die Briefeschreiberinnen vor den Karren der Industrie gespannt, die Geld mit den Tests verdienen wollte? Waren sie einfach nur schrecklich falsch informiert? Aber auch hier schien die Sache nicht ganz so leicht zu sein.

So entstand zunächst eine Printgeschichte und nun dieses multimediale Projekt. Aber die Geschichte ist noch längst nicht auserzählt.

Denn sie weist auf ein grundlegendes Problem hin: Die Zulassung von Diagnostika und auch Medizinprodukten ist in Deutschland und Europa weit weniger reguliert als die von Arzneimitteln, es gibt keine zentralen Zulassungsbehörden dafür. Die Tests brauchen zwar eine CE-Zertifizierung – das ist dieses Prüfsiegel, das man zum Beispiel auch auf Haushaltsgeräten findet.

„Doch dabei wird lediglich geprüft, ob sie technisch sicher sind und erfassen, was sie erfassen sollen“, sagt Regine Kollek, Professorin für Technikfolgenabschätzung der modernen Biotechnologie in Hamburg. Dies sei zwar auch ein Schritt der Qualitätssicherung. Nicht nachgewiesen werden müsse bisher jedoch der klinische Nutzen, „also der Mehrwert für die Patienten“. Wenn Hersteller dagegen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in den Markt einführen wollen, müssen sie in Deutschland seit 2011 Nachweise über den Zusatznutzen für Patienten vorlegen.

Der Brustkrebsexperte Rolf Kreienberg beschreibt die aktuelle Lage so: „Die Gentests sind seit Jahren auf dem Tisch, und da kommen Prüfgremien nach einigen Jahren und sagen: Die Studien sind nicht aussagekräftig, das Design der Studien erlaubt nicht die Aussagen, die notwendig sind, es werden neue Studien benötigt. Wir kommen eigentlich viel zu spät.“ Dennoch findet er die derzeit laufende Nutzenbewertung der Tests „außerordentlich wichtig“.

Kreienberg ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, die ärztliche Leitlinien koordiniert, und gibt zu bedenken: „Man müsste vor der Markteinführung Studien zu Sicherheit und Nutzen solcher Gentests machen, mit denen eine womöglich gravierende Therapieentscheidung getroffen werden soll.“

Und auch G-BA-Chef Josef Hecken sieht eine Regulierungslücke: „Da ist eine Art Unwucht im System, dass Arzneimittel so sorgfältig geprüft werden und Medizinprodukte und damit auch solche Tests weniger.“ Zwar könnte bald ein Gesetz in Kraft treten, laut dem bestimmte neue Medizinprodukte bei der Markteinführung vom G-BA bewertet werden sollen. Doch gilt das laut Hecken eben nicht für Diagnostika wie Gentests – und die gibt es nicht nur für Brustkrebs, sondern auch für andere Krebsarten, mit anderen Fragestellungen. Die Debatte betrifft also sehr viel mehr Patientinnen und Patienten.

Während der Recherche wurde ich häufiger gefragt: Und? Würden Sie solch einen Test machen, wenn Sie Brustkrebs hätten? Die ehrliche Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Und vielleicht kann man das auch gar nicht sagen, wenn man die Diagnose Krebs nicht hat.

So sieht es auch Rolf Kreienberg, der jahrzehntelang Krebspatientinnen behandelt hat und die Diskussion um die Gentests gut kennt: „Was ich selbst machen würden, wenn ich Krebs bekäme? Ich glaube, darüber kann kein Gesunder Auskunft geben. Vielleicht würde ich auch für mich so viele Informationen wie möglich sammeln wollen, vielleicht auch Tests machen wollen, die nur eine unsichere Antwort geben. Wer weiß das schon?“

Und genauso wenig, wie ich weiß, ob ich einen Gentest machen lassen würde oder nicht, genauso wenig kann ich sagen, für welches der vier verfügbaren Verfahren ich mich entscheiden würde. Dass zwei Tests in dieser Geschichte stärker als die anderen beiden vertreten sind, war eine rein journalistische Entscheidung, über die man sicher streiten kann.

Die Briefeschreiberinnen aus dem Jahr 2013 haben bereits eine Therapieentscheidung treffen müssen. Diese Geschichte ist ihnen gewidmet, denn ohne ihre Briefe wäre sie nicht entstanden.

Genexpressionen:
Die Mitwirkenden

Autorin: Christiane Löll
Design, Animation und Grafik: Konrad Rappaport
Sprecherin: Margit Sander
Sounddesign und Musik: Fabian Heinitz
Konzeptionelle Beratung: Tom Duscher, Muthesius Kunsthochschule
Programmierung: Torben Ratzlaff, Stefan Alexander Wimmer
Schlussredaktion: Dagny Hildebrandt, Kirsten Milhahn
Projektleitung und Redigatur: Georg Dahm
Video: David Klammer. Schnitt: Georg Dahm
Fotos: Maurice Weiss/Ostkreuz, Stephan Rumpf/SZ Foto/Picture Alliance, Imago/Ipon, Klinikum St. Marien Amberg, David Klammer, Olaf Rößler, Brandon Thibodeaux/The New York/Redux/laif

Dieses Projekt wurde im Rahmen der Masterclass „Zukunft des Wissenschaftsjournalismus" der Robert-Bosch-Stiftung und des Reporter-Forums gefördert. Und es wäre ohne die sechs Protagonisten nicht möglich gewesen, genauso wenig wie ohne die folgenden Ansprechpartner (in alphabetischer Reihenfolge). Dank geht an:

  • Prof. Manfred Dietel, Mit-Gesellschafter bei Sividon, Direktor des Instituts für Pathologie, Campus Charité Mitte, Berlin
  • Dr. Anna-Sabine Ernst (Ltg.) und Susanne Breuer, beide Ressort Kommunikation, IQWiG, Köln
  • PD Dr. Kay Friedrichs, Medizinische Leitung des Mammazentrums am Jerusalem Krankenhaus, Hamburg, Mitglied der AGO Leitlinienkommission zum Thema Brustkrebs
  • Prof. Wolfgang Janni, stellvertretender Sprecher der Leitlinien-Kommission der AGO zum Thema Brustkrebs, Ärztlicher Direktor Universitätsfrauenklinik Ulm
  • Prof. Marion Kiechle, Direktorin und ärztliche Leiterin der Frauenklinik Technische Universität München, sie war 2000 die erste Frau, die in Deutschland einen Lehrstuhl für Gynäkologie innehatte.
  • Prof. Regine Kollek, Professorin für Technologiefolgenabschätzung der modernen Biotechnologie, Universität Hamburg

Dieses Projekt wurde im Rahmen der Masterclass „Zukunft des Wissenschaftsjournalismus" der Robert-Bosch-Stiftung und des Reporter-Forums gefördert. Und es wäre ohne die sechs Protagonisten nicht möglich gewesen, genauso wenig wie ohne die folgenden Ansprechpartner (in alphabetischer Reihenfolge). Dank geht an:

  • Prof. Rolf Kreienberg, Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, emeritierter Professor der Universität Ulm
  • Dr. Stefan Lange, stellvertretender Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln
  • Esther Linnenberg, Pressereferentin, Sividon Diagnostics, Köln
  • Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Herausgeber von „Der Arzneimittelbrief“, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Helios Klinikum Berlin-Buch
  • Dr. Micaela Mathiak, stellvertretende Direktorin Institut für Pathologie Universität Kiel und Michael Weiß, Labor des Instituts
  • Dr. Erwin Morawski, Geschäftsführung Genomic Health in Deutschland seit 2013 (auch Österreich, Schweiz und Niederlande), Genetiker und zuletzt als Marketingleiter bei einem großen Pharmaunternehmen tätig.

Dieses Projekt wurde im Rahmen der Masterclass „Zukunft des Wissenschaftsjournalismus" der Robert-Bosch-Stiftung und des Reporter-Forums gefördert. Und es wäre ohne die sechs Protagonisten nicht möglich gewesen, genauso wenig wie ohne die folgenden Ansprechpartner (in alphabetischer Reihenfolge). Dank geht an:

  • Dr. Uta Mellert und Dr. Martin Stapf, NanoString Technologies
  • Kristine Reis, Leiterin der Stabsabteilung Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, G-BA, Berlin
  • Prof. Marcus Schmidt, Leiter Konservative und Translationale Gynäkologische Onkologie, Universitätsmedizin Mainz. Er entwickelte den EndoPredict mit, ist aber nicht an Sividon beteiligt. Von ihm stammen die Begriffe „Platzhirsch“ und „Godfather of Gene Expression“.
  • Eva Schumacher-Wulf, Chefredakteurin Mamma Mia (Magazin für Brustkrebspatientinnen)
  • Prof. Christoph Thomssen, Chefarzt Klinik und Poliklinik für Gynäkologie, Universitätsklinikum Halle, Mitglied der AGO Leitlinien-Kommission zu Brustkrebs.
  • Susanne Volpers, Bundesvorstand Frauenselbsthilfe nach Krebs (Geschäftsstelle in Bonn)