Zählmeister der Schöpfung

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Käfersammler, Schmetterlingsjäger, Muschel-Mikroskopierer: Jahrzehntelang galten Artenforscher als altmodische Umstandskrämer, die bald abgelöst werden von den Genetikern mit ihren präzisen DNA-Analysen. Doch inzwischen stellt sich heraus: Die Vielfalt der Schöpfung werden die beiden Lager nur gemeinsam begreifen können.

Am Arsch die Räuber. Ach, könnte man eine wissenschaftliche Arbeit doch so nennen, selten hätte ein Titel besser auf den Punkt getroffen. Denn da hinten, am hintersten Hinterleib der Zikade, sitzt er, dieser miese Parasit, der Björn Rulik schier zur Weißglut getrieben hat. Die Larve einer Augenfliege hat sich da eingenistet und mit ihrem Erbgut die DNA-Probe ihres Wirts versaut, die der Biologe schon längst in die Datenbank des Lebens eingespeist haben wollte. Und es ist ja nicht so, als hätte Rulik nicht genug zu tun.

Es ist einer der der größten Zählappelle, seit Noah den Check-in-Schalter für die Arche öffnete. „Barcode of Life“ (BoL) heißt das Projekt, in dem die genetischen Fingerabdrücke von allem genommen werden sollen, das lebt – oder einmal gelebt hat und nun in einer naturkundlichen Sammlung zerfällt. Eingelegt in Alkohol, aufgespießt in einem Glaskasten, ausgestopft in einer Vitrine.

8,7 Millionen Tierarten vermuten Biologen auf der Erde, gerade mal 1,7 Millionen davon sind beschrieben. Naturforschung der letzten 250 Jahre, Knochenarbeit auf Händen und Knien in Wäldern und Sümpfen, an Mikroskop und Seziertisch, betrieben von einer Zunft, die heute so vom Aussterben bedroht ist wie viele der Arten, die wir nie zu Gesicht bekommen werden. Es gibt nicht viele Jungforscher, die sich wie Björn Rulik für eine Laufbahn in der Taxonomie entscheiden. Aber ohne die wenigen Björn Ruliks dieser Welt wird er nicht gelingen, der große Endspurt der Biologie. Und langsam, ganz langsam kommt eine Disziplin zurück, die schon dem Untergang geweiht schien.

Wolfgang Wägele hat seine Karriere Ende der 1970er-Jahre mit Asseln begonnen.

Asseln sammeln. Asseln mikroskopieren. Jubeln über eine bislang unbekannte Assel-Art, deren typische Merkmale akribisch auf Papier zeichnen und dann in einem Journal veröffentlichen, das außer ein paar Fachkollegen keiner je lesen würde. Das Belegexemplar in Alkohol einlegen und sauber beschriftet im Archivkeller einlagern.

Schon damals galt das als angestaubte Museumswissenschaft. Seit den 1970er-Jahren fegte die Molekulargenetik durch die Universitäten und zog Fördermittel und Jungwissenschaftler an. „Die Biologie außerhalb der Labore hat damals starke Einbußen erlitten“, sagt Wägele. Wozu noch Artenforscher ausbilden, wenn man bald alles anhand von genetischen Fingerabdrücken identifizieren kann? Taxonomie-Lehrstühle sind in Deutschland selten geworden, den Nachwuchs bilden fast nur noch Museumssammlungen oder botanische Gärten aus. „Diese Forschungseinrichtungen sind wie Indianerreservate, in denen solche Spezialisten noch überleben“, sagt Wägele.

Der 61-Jährige ist Häuptling des wichtigsten deutschen Reservats, des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn. Sein Büro wirkt wie die Bestätigung aller Klischees, mit denen die Taxonomie zu kämpfen hat. Vom antiken Holzparkett bis zur hohen Decke ragen die Regale mit den Aktenordnern, den dicken Folianten voller Beschreibungstexte, der zoologischen Fachliteratur – das über Jahrhunderte gesammelte Wissen der Artenforscher ist analog, fast nichts davon ist im Internet zu finden. Wer eine Art mit Sicherheit bestimmen will, der muss sich viel über Bücher beugen.

Noch. Das Barcode-of-Life-Projekt soll das Herrschaftswissen überflüssig machen. Eine DNA-Probe, ein kurzer Abgleich mit der Datenbank, und schon ist die Art bestimmt. Eigentlich müsste Wolfgang Wägele jetzt um seine Existenzberechtigung fürchten – tatsächlich aber steht er an der Spitze des deutschen BoL-Teilprojekts (GBoL). Die Genetik sieht er nicht als Bedrohung, sondern als Befreiung von wissenschaftlich uninteressanten Routinearbeiten. Naturschutzgutachten zum Beispiel, bei denen Biologen alle Arten bestimmen, die auf einem Baugrundstück leben. Käferappell: Solche Jobs überlässt Wägele gerne den Genetikern. Damit die Taxonomen wieder Zeit haben für ihre eigentliche Aufgabe: bisher unbekannte Arten aufspüren – möglichst bevor sie aussterben.

„Diesen Teil der taxonomischen Arbeit wird der Mensch nie an die Maschine verlieren“, sagt Wägele. „Ein guter Taxonom kann aus seinem Wissen ableiten, wo er die noch unbekannten Arten findet.“ Wann tauchen bestimmte Mückenarten wo auf, bei welchem Wetter verstecken sie sich, welche Nahrung bevorzugen sie, welche Pflanzen meiden sie?

Dieses Wissen bauen die Forscher über Jahre während ihrer Exkursionen auf.

Vieles davon steht in keinem Buch. Und darum kann in der Welt der Taxonomen auch einer wie Kai Heller zum gefragten Experten aufsteigen, der vor 14 Jahren die Biologie für das Bankwesen aufgegeben hat.

Bedächtig läuft der grauhaarige Mann durch einen Kiefernwald der Mecklenburgischen Seenplatte und schwingt im Zickzack einen Kescher vor sich her. Alle paar Meter hängt er sich das Netz über den Kopf und kontrolliert die feinen Maschen.

Da, ein winziger schwarzer Punkt.

Mit einem kurzen Schlauch saugt Heller das Insekt in einen Kunststoffbehälter. Zu den anderen: Trauermücken, den Tieren, denen seit dem Studium Hellers Leidenschaft gehört.

Mit 14 anderen Taxonomen aus ganz Deutschland hat er sich für drei Tage in einem Feriendorf im Müritz-Nationalpark eingerichtet, um Proben zu sammeln für die Gendatenbank. Stunde um Stunde sitzt er hier vor dem Mikroskop, studiert die Flügeladern und Geschlechtsteile der winzigen Lebewesen – klassische Bestimmungsarbeit, an der sich nicht viel geändert hat, seit der Schwede Carl von Linné Mitte des 18. Jahrhunderts das biologische Ordnungssystem mit seinen lateinisch klingenden Namen entwickelte. Nur die Mikroskope sind besser geworden.

Im GBoL-Teilprojekt stehen den 47 Vollzeitkräften 170 ehrenamtliche Helfer zur Seite, den Ausdruck „Laienforscher“ hört man hier gar nicht gern. Immerhin werden in Europa 60 Prozent der neu entdeckten Arten von Überzeugungstätern wie Kai Heller beschrieben, dessen Kompetenz international anerkannt ist. Das Naturhistorische Reichsmuseum in Stockholm setzt ebenso auf den Autodidakten wie die Zoologische Staatssammlung München, die von der EU-Kommission ins Leben gerufene Datenbank Faunaeur.org führt ihn als „taxonomic specialist“.

Auch ohne akademischen Grad veröffentlicht Heller wissenschaftliche Arbeiten und korrigiert Fachkollegen, die nicht erkennen, dass sie gerade eine neue Mückenart entdeckt haben. „Wir kennen weltweit etwa 2.000 verschiedene Trauermücken, schätzen den Bestand aber auf mindestens 8.000 Arten“, sagt Heller. Bei der Suche nach den fehlenden 6.000 hofft auch Heller auf die Unterstützung der BoL-Gendatenbank. Mit ihrer Hilfe müsste er nur noch die Mücken unter sein Mikroskop legen, bei denen die Datenbank meldet: kein Fingerabdruck registriert.

Weswegen auch Heller mithilft bei der großen Bestandsaufnahme. Immer wieder vergleicht Heller die Details mit Zeichnungen in den Aktenordnern und Büchern auf seinem Arbeitstisch, langsam kreist er die Mücke ein. „Bradysia tilicola!“ Mit einer Pinzette steckt er das Insekt in ein Plastikröhrchen, dazu ein kleiner Zettel mit ein paar Notizen. Ab in die Box, die nach Bonn ans Forschungsmuseum Koenig geschickt wird. Und die nächste Mücke.

Von allen Trauermücken, die er mit dem Saugrohr erwischt hat, liegen schon Belegexemplare in den Schubladen der biologischen Sammlungen. Doch keine von ihnen enthält noch DNA in ausreichender Qualität. Nur mithilfe der wenigen Taxonomen kommen Genetiker an das fehlende Material, nur die Taxonomen können ihnen zweifelsfrei sagen, unter welchem Namen eine Genprobe einsortiert werden muss.

„Grob zwischen Unterordnungen wie Mücken und Fliegen unterscheiden kann hier jeder“, sagt Björn Rulik, der in seinem schummrigen Kellerbüro Hellers Mückenröhrchen auspackt und fein vorbereitet fürs Genlabor. Jeder der sandkorngroßen Neuankömmlinge wird erst mal fotografiert für die Datenbank – und um Fehler zu vermeiden; wie schnell hat man so ein Vieh ins falsche Röhrchen gesteckt. Und dann ab in den ersten Stock, wo der genetische Fingerabdruck genommen wird.

Nur ein winziger Ausschnitt aus dem Genmaterial reicht, um jedes Lebewesen eindeutig zu identifizieren. Und der liegt noch nicht mal im Zellkern, sondern in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle. CO1 (kurz für Cytochrom-c-Oxidase 1-Gen) heißt der Abschnitt der Mitochondrien-DNA, der von Assel bis Zebra in beinahe jedem Lebewesen vorkommt – und immer einzigartig ist. 648 Basenpaare enthält der CO1-Bereich – also eine 648 Stellen lange Buchstaben-Kombination. „Dieser kurze Abschnitt ist ideal, denn wir wissen, dass wir ihn auch bei unbekannten Arten vorfinden und mit standardisierten Methoden extrahieren können“, sagt Rulik.

Bei Pflanzen fand sich ein ähnlicher Universalbereich in der DNA der Chloroplasten. Erst 2003 schlug der kanadische Biologe Paul Hebert vor, mit diesen Merkmalen jedes Lebewesen auf der Erde zu identifizieren – wie beim Strichcode-Scanner an der Supermarktkasse. Der Begriff „Barcode of Life“ war geboren.

Hellers winzige Trauermücken wandern komplett in die Analyse-Maschine, die größeren Insekten drehen noch eine Extrarunde durchs Zimmer nebenan, wo ihnen mit vorsichtigen Pinzettengriffen unter dem Mikroskop ein Bein abgenommen wird, mehr als genug Material für die Sequenzierung. Schnell die Pinzette in der Gasflamme reinigen und die nächste Probe. Über 12.000 Individuen haben er und seine Kollegen an der Müritz gesammelt und dabei 300 Arten bestimmt. Es wird lange dauern, bis alle Proben ausgewertet sind.

Was hier im alten Forschungsmuseum Koenig passiert, ist viel mehr als nur eine große Datensammlung, sagt Rulik. Jahrelang hat der hochgewachsene Biologe bei den Taxonomen für die Vorteile der Gentechnik geworben, erst am Zoologischen Institut und Museum in Greifswald und dann an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden, wo er geforscht und sich ein Taxonomen-Netzwerk aufgebaut hat. „Einige waren die typischen Genetik-Verächter, haben aber durch die Möglichkeiten der Datenbank den Nutzen von DNA-Analysen erkannt“, sagt Rulik. Er gehört zu einer neuen Generation von Taxonomen, die zweigleisig arbeitet und die Vorteile beider Welten nutzt.

Beschreibt er eine neue Art, zeichnet er die prägenden äußeren Merkmale immer noch per Hand auf Papier: „So können die wichtigen Partien viel besser hervorgehoben werden, als das bei einem Foto möglich ist“.

Doch dieses alte Handwerk scheitert, wenn zwei Exemplare nicht durch äußerliche Merkmale oder Organe zu unterscheiden sind. „Kryptische Arten“ nennen Taxonomen diese Fälle, bei denen nur die Gensequenz zeigt, ob es sich um verschiedene Arten handelt oder nicht. Dann geben DNA-Proben Biologen viel genauere Informationen darüber, wie eng verwandt verschiedenen Arten sind, was vor allem Evolutionsforscher interessiert. „Das sind Fakten, die klassische Taxonomen bisher nicht in solcher Klarheit schaffen konnten“, sagt Rulik.

Was nach Liebhaberwissen klingt, kann auch in der Praxis große Bedeutung haben. Ein Schädling marodiert durchs Kornfeld – hat er natürliche Feinde, mit denen man ihn bekämpfen kann? Ein Fischbestand bricht zusammen – stecken Parasiten dahinter, die sich plötzlich ausbreiten?

Und manchmal liefert die Genanalyse auch neue Erkenntnisse darüber, wie verschiedene Arten zusammenleben. Zum Beispiel eben, dass sich Augenfliegenlarven am Zikadenrektum wohlfühlen. „Diese Parasit-Wirt-Beziehung war der Fachwelt bisher nicht bekannt“, sagt Rulik.
„DNA-Barcoding ermöglicht uns manchmal ungeahnte Einblicke in die Biologie.“ Inzwischen schickt er nur noch die Köpfe von Zikaden zur DNA-Analyse, nicht mehr das komplette Insekt. Den Hinterleib lässt er einzeln sequenzieren. „So können wir eventuell zwei Barcodes aus einer Probe gewinnen, den der Fliege und den der Zikade.“ Der klassische Taxonom wäre hier an seine Grenzen gestoßen, er kann nur ausgewachsene Lebewesen bestimmen. Eine Augenfliegenlarve? Keine Chance. Die Genanalyse dagegen erkennt Arten in jedem ihrer Entwicklungsstadien.

Umgekehrt ertrinkt die Genetik zuweilen in den Massen von Daten, die die Sequenziermaschinen liefern. Dann hilft wiederum das Taxonomen-Handwerk dabei, die Übersicht zu behalten bei der Analyse von Verwandschaftsverhältnissen. „Wenn sich etwa Ökologen nach einer erfolgreichen DNA-Identifikation fragen, warum diese eine Art so häufig in der von ihnen untersuchten Wiese vorkommt, kann eventuell wieder der Taxonom wichtige Anhaltspunkte liefern“, sagt Rulik.

„Nur durch die Taxonomie bekommen wir zu sehen, wie die Biodiversität – die Grundlage der gesamten Biologie – wirklich aussieht“, sagt Christoph Carl-Friedrich Schinkel, Sprecher der 1998 gegründeten Arbeitsgruppe Junge Systematiker. Rund 300 Nachwuchsforscher, meist zwischen 20 und 30 Jahre alt, haben sich in der AG zusammengeschlossen. Die meisten arbeiten interdisziplinär und kombinieren Taxonomie mit den modernen Techniken. Inzwischen sprechen manche schon vorsichtig von einer Renaissance der Artenkunde. Ihre ordnende Hand wird gebraucht beim Versuch, das große Puzzle der Natur zusammenzusetzen. Und manchmal müssen sie dafür auch erst mal zerschlagen, was ihre Vorgänger zusammengebastelt haben.

Im holzvertäfelten Obergeschoss des Forschungsmuseums Koenig starren Hunderte tote Augen durch die Scheiben der Vitrinenschränke. Flügel an Flügel drängen sich ausgestopfte Möwen, Eulen und Greifvögel in den meterlangen Lagerfächern. Wildwuchs der letzten 250 Jahre, bis zu 100 Millionen Belegexemplare liegen allein in deutschen Sammlungen, von Insekten über Fische und Vögel bis zum Großwild. „Bisher weiß man bei keiner Sammlung im Detail, was sie alles hat“, sagt Matthias Geiger, der die Zusammenarbeit zwischen dem BoL-Projekt und den deutschen Naturkunde-Sammlungen koordiniert. „Während des Biologiestudiums war ich einer der wenigen, die noch klassische taxonomische Arbeit lernen wollten.“

Immer wieder stoßen die BoL-Experten auf Arten, die doppelt und dreifach beschrieben wurden unter verschiedenen Namen, weil Forscher nichts voneinander wussten, nie die Papiere ihrer Kollegen zu sehen bekamen. Auch darum wird weltweit aufgeräumt, werden die Kataloge nun digitalisiert und die Exponate genetisch analysiert.

Wenn das noch geht. „Das Problem ist der Schnaps“, sagt Geiger und steigt hinab in den Gewölbekeller. Lange Reihen grauer Metallschränke, vollgestellt mit Glaskolben. Das Fischarchiv des Museums, etwa 50.000 Exponate sind hier konserviert in 70-prozentigem Alkohol. „Der ist gut, um die Proben zu konservieren, weil sie dadurch etwas flexibler bleiben“, sagt Geiger. Aber das enthaltene Wasser greift die DNA an, weshalb heute nur noch 98-prozentiger Alkohol zum Einsatz kommt. Geiger nimmt ein Glas heraus, auf dem Etikett steht unter dem Artennamen in sauberer Handschrift: Holotypus. „Das ist quasi heiliges Material“, sagt Geiger. „Nach diesem Exemplar ist die Art zum ersten Mal beschrieben worden, alle anderen gefundenen müssen mit diesem verglichen werden.“ Je mehr Holotypen eine Sammlung hat, desto bedeutsamer ist sie.

Mit heiligem Material geht man vorsichtig um, bei Vögeln etwa entnehmen die Biologen einen winzigen Teil aus dem Inneren des Fußgelenks. Und hoffen, dass die DNA des ausgestopften Tieres noch nicht zu stark beschädigt ist. Und vielleicht können sich ja auch Taxonomen bald die neuen Verfahren leisten, mit denen in anderen Forschungsbereichen uralte DNA-Spuren aufgefrischt werden.

Sonst wird es schwierig mit dem Zählappell. Mücken neu fangen – kein Problem. „Aber wir können ja nicht wegen einer Genprobe einen Adler schießen“, sagt Geiger. Dann heißt es warten auf Zufallstreffer: Manchmal melden sich Land- und Forstwirtschaftsbehörden, wenn wieder ein Vogel in die Windkraftanlage geflogen ist. „Wenn der nicht tagelang in der Sonne lag, können wir damit noch etwas anfangen“, sagt Geiger.

Auch die Nationalparkverwaltungen melden den GBoL-Forschern ihre Funde, wodurch die Wissenschaftler auch an seltenere Arten kommen. Auch die Sammel-Aktion im Müritz-Nationalpark hat die Parkverwaltung ermöglicht. Durchaus eigennützig: Mithilfe der Gendatenbank könnten Ökologen viel schneller und genauer beobachten, wie sich die Artenvielfalt im Verlauf der Jahre entwickelt. Und damit viel schneller reagieren, wenn das Gleichgewicht zu kippen droht.

Das ist der ganz große Traum: das Leben in Echtzeit erfassen in all seinen Feinheiten. Auch außerhalb der Fachwelt. Was passiert wirklich mit der Artenvielfalt, wenn sich eine Kulturlandschaft rasant verändert, weil plötzlich überall Mais angebaut wird? DNA-Fingerprinting könnte die Antworten liefern, bevor es zu spät ist. Auch Fischbestände könnten besser erfasst, Fangquoten und Schutzgebiete genauer definiert werden. Und wenn Landwirte auch ohne aufwendige Gutachten schnell herausfinden, mit welchen Schädlingen sie es zu tun haben, können sie deren natürliche Feinde aussetzen lassen, anstatt ein Universal-Gift zu spritzen.

Doch mit der Schnelligkeit ist das in der Taxonomie so eine Sache. Noch sind die wenigen Taxonomen mit Gutachten und anderen Routineaufgaben so ausgelastet, dass jeder von ihnen in seinem Leben durchschnittlich etwa 25 neue Arten bestimmt, schreiben kanadische Biologen in einer 2011 erschienenen Studie. Bei dem Tempo werde der Katalog der bekannten Spezies jährlich nur um etwa 6.200 Arten wachsen. Womit das Werk erst in 1.200 Jahren vollendet wäre.

Wie stehen wir dann da, wenn eines Tages eine außerplanetarische Delegation auf der Erde landet, fragt der Oxford-Zoologe Richard May in einer seiner Arbeiten. Als Erstes würden die Besucher doch fragen, wie viele Spezies es auf der Erde gibt. Unsere präzistese Antwort wäre: Irgendwas zwischen fünf und zehn Millionen.

Noah wäre damit auch nicht durchgekommen.