Wenn keine Medikamente, keine Operationen helfen gegen chronische Darmerkrankungen, setzen Ärzte zunehmend auf eine gewöhnungsbedürftige Therapie: Sie übertragen den Stuhl gesunder Spender – um die Darmflora wieder ins Lot zu bringen. Mit teils überraschenden Nebenwirkungen – im Guten wie im Schlechten.
Als Thema für das nächste Tischgespräch ist dieser Beitrag eher ungeeignet – auch wenn er ein medizinisches Modethema behandelt: Stuhltransplantationen. Mit speziell aufbereiteten Fäkalien, die dem Patienten über eine Sonde eingeführt werden, lassen sich tatsächlich verschiedene Krankheiten behandeln; vor allem bei chronischen Darmerkrankungen setzt sich das Verfahren zunehmend durch. Jetzt aber ist in den USA eine Empfängerin fettleibig geworden, nachdem man ihr den Stuhl einer übergewichtigen Spenderin verabreicht hatte. Was die Frage aufwirft: Welche Nebenwirkungen könnten Stuhltransplantationen noch haben?

Welche wichtige Rolle die Darmflora offenbar für die Gesundheit spielt, zeigt eine wachsende Zahl von Studien zu den vielen Bakterienstämmen, die unsere Eingeweide besiedeln. Von Asthma und Ekzemen über Diabetes bis hin zu Krebs oder Parkinson reicht die Liste der Krankheiten, die mit einem Zuviel oder Zuwenig von bestimmten Mikroben in Verbindung gebracht werden. Und mithilfe von Stuhltransplantationen soll es möglich sein, den Darm eines Erkrankten mit einer gesunden Bakterienmischung neu zu besiedeln.
Mindestens 80 Kliniken in den USA bieten diese Therapie bereits an. In Großbritannien muss eines der führenden Behandlungszentren wegen der hohen Nachfrage in größere Räumlichkeiten umziehen. Auch in Deutschland wächst das Interesse an der Behandlungsmethode, im Projekt MikroTrans tragen Ärzte derzeit Erfahrungswerte in einer Datenbank zusammen.
Bei ständig wiederkehrenden Clostridium-difficile-Infektionen sind die Behandlungen oft die letzte Rettung
Für Menschen, die an ständig wiederkehrenden Clostridium-difficile-Infektionen leiden, die Durchfall und Fieber verursachen und tödlich verlaufen können, sind die Behandlungen oft die letzte Rettung. Während die Infektionen nach Einnahme von Antibiotika erneut auftreten können, sind Patienten nach einer Stuhltransplantation in 90 Prozent der Fälle geheilt.
Colleen Kelly, Gastroenterologin am Miriam Hospital in Providence, Rhode Island, hat rund 200 Stuhltransplantationen bei Patienten mit C. difficile-Infektionen durchgeführt. 2010 behandelte sie eine 32-jährige Frau mit Stuhl von deren Tochter. Das Teenager-Mädchen war stark übergewichtig, sagt Kelly, aber ansonsten gesund. Der Eingriff verlief erfolgreich und befreite die Frau vollständig von der C. difficile-Infektion.

Etwa ein Jahr später kam die Patientin wieder und klagte über extreme Gewichtszunahme. Sie war vorher stets normalgewichtig gewesen. Aber jetzt, trotz Fitness-Training und strenger Diäten – unter anderem einer ärztlich überwachten Flüssig-Protein-Diät – nahm sie immer weiter zu. „Sie kam sich vor, als hätte sich in ihrem Körper ein Schalter umgelegt“, sagt Kelly. „Egal wie viel sie trainierte oder was sie auch aß, sie nahm einfach nicht ab. Jetzt ist sie immer noch übergewichtig und sehr unglücklich damit.”
Es ist der erste bekannte Fall von Adipositas, der offenbar auf eine Stuhltransplantation zurückzuführen ist . Da es aber eben nur ein Einzelfall war, könne sie sich in Bezug auf Ursache und Wirkung nicht sicher sein, sagt Kelly. Auch ein Antibiotikum, das die Frau damals einnahm, könnte der Grund gewesen sein, sagt der Mikrobiologe Martin Blaser von der New York University. Er fand heraus, dass diese Medikamente Fettsucht auslösen können, indem sie „gute Bakterien“ vernichten.
Bei Versuchen mit Mäusen stießen Forscher allerdings bereits auf ähnliche Ergebnisse: Schlanke Mäuse können nach Erhalt von Darmbakterien von adipösen Mäusen an Gewicht zunehmen. Und ein Team in den Niederlanden erprobte die Stuhltransplantation an stark übergewichtigen Patienten, die am metabolischen Syndrom leiden – einer Zivilisationskrankheit, die zu Diabetes führen kann, weil der Körper infolge der Überernährung den Blutzuckerspiegel nicht mehr in den Griff bekommt. Zwar nahmen die Patienten trotz der Behandlung nicht ab, ihr Stoffwechsel reagierte aber wieder empfindlicher auf Insulin und konnte Zucker besser verarbeiten.
Es sei denkbar, dass auch Krankheiten wie Immunstörungen und Krebs durch die Transplantation von Stuhl übertragen werden können, sagt Kelly. „Über die Langzeitrisiken wissen wir bisher zu wenig.”
„Einige machten sich Sorgen über noch schlimmere Auswirkungen”, sagt Trevor Lawley vom Wellcome Trust Sanger Institute in Hinxton. „Eine Transplantation könnte möglicherweise gefährlichere Folgen haben als Adipositas.”
Auch gegen Depressionen und Haarausfall sollen Stuhltransplantationen schon geholfen haben


In den USA laufen derzeit 68 angemeldete klinische Studien, in denen das Potenzial von Stuhltransplantationen zur Behandlung von Diabetes, Morbus Crohn und HIV-Infektionen untersucht wird. Momentan gibt es jedoch keine verlässlichen Zahlen darüber, bei wie vielen Menschen eine Stuhltransplantation durchgeführt wurde und bei wie vielen Nebenwirkungen aufgetreten sind. Um von anekdotischen Erfahrungsberichten hin zu sicheren Beweisen zu kommen, plant Kelly derzeit die Einführung einer US-weiten Registrierung von Stuhltransplantationen mit Nachkontrollen bis zu fünf Jahre nach der Behandlung.
Heute geht Kelly anders mit Personen um, die sich als Stuhlspender zur Verfügung stellen. „Ich bin mittlerweile sehr streng”, sagt sie. Personen, die auch nur das kleinste Gesundheitsrisiko bergen, lehnt sie ab. Dazu zählen auch Menschen mit „Parkinson, Multipler Sklerose, chronischem Müdigkeitssyndrom oder allem, bei dem wir uns nicht sicher sind.“ Darüber hinaus klärt sie mögliche Empfänger intensiv über die Risiken auf.
Mediziner rechnen mit einer wachsenden Zahl von Do-It-Yourself-Transplantationen
Es ist allerdings eher unwahrscheinlich, dass alle Patienten, die eine Stuhltransplantation empfangen, dieselben Warnungen zu hören bekommen, denn ein standardisiertes klinisches Protokoll dafür muss erst noch entwickelt werden. Und überall auf der Welt gelten andere Regularien. So sind Stuhltransplantationen in Großbritannien nicht reguliert. In den USA hat die Food and Drug Administration den Eingriff bewilligt, allerdings nur bei C. difficile-Infektionen. In Deutschland soll die neue MikroTrans-Datenbank die Grundlage bilden für Gespräche mit Behörden und Krankenkasse, die die Behandlung derzeit noch nicht erstatten.
Gleichzeitig besteht die Vermutung, dass die Zahl derer wächst, die Stuhl in Eigenregie zu Hause verpflanzen. Während Kelly davon abrät, weist Trevor Lawley darauf hin, dass dieses Feld schlichtweg nicht regulierbar ist. „Wir reden hier nicht von Medikamenten oder Spenderorganen – wir reden von Scheiße“, sagt er. „Man kann nicht kontrollieren, was jemand in seinem eigenen Badezimmer treibt.”
Lawley hofft, dass die neue Studie zum Nachdenken anregt. Bei wiederkehrenden C. difficile-Infektionen überwiegen die Vorteile, bei anderen Erkrankungen verschwimmt das Bild jedoch. „Letztendlich müssen wir eine genau definierte Gruppe von Mikroben herausarbeiten“, sagt Lawley. Er gehört einer Forschungsgruppe an, die versucht, die hilfreichen Bakterienanteile von Stuhltransplantaten zu ermitteln. Auch andere Teams und Unternehmen gehen dieses Problem an. Emma Allen-Vercoe arbeitet mit Kollegen an einer synthetischen Form der Stuhltransplantation – eine Tablette, die genau ausgewählte Bakterien enthält, die aus dem Stuhl eines gesunden Spenders entnommen wurden.
Bis dahin sollten Menschen, die mit einer Stuhltransplantation andere Erkrankungen als eine C. difficile-Infektion behandeln lassen wollen, lieber nach Alternativen Ausschau halten, sagt Emma Allen-Vercoe: „Man muss sich über die Risiken im Klaren sein.“•
