Der Titan im Iran

Endlich Saisoneröffnung. Am Ostersonntag geht es los: Die Hamburg Bit-Bots fliegen zur offenen Meisterschaft der Roboter-Fußballer in den Iran. Mit im Handgepäck haben sie dann ihre neueste Entwicklung: Hambot, den Torwart-Titan. Kurz vor Abflug liegt der aber noch in Einzelteilen auf der Werkbank.

Panik. Hektik. Anspannung und Aufregung. Wäre alles nur zu verständlich knapp zwei Wochen vor den IranOpen, einem dreitägigen Roboter-Fußball-Turnier in Teheran, zu dem Teams aus aller Welt anreisen. Vor allem dann, wenn der Torwart noch nicht einsatzbereit ist. Stattdessen wirken die Hamburg Bit-Bots tiefenentspannt und sitzen in ihrem Kellerlabor vor Rechnern und Energiedrinks. Auf einem der Tische liegt ein Haufen bunter Plastikteile, die ein 3D-Drucker ausgespuckt hat. Daneben stapeln sich kleine Servomotoren, Schräubchen, Akkus und grün-silbrig glänzende Platinen, teilweise überdeckt von diversen Kabeln, die hier im Reich der Bit-Bots fast überall aus Schubladen und Schubfächern heraushängen. Zu glauben, dass aus diesem Sammelsurium in den nächsten Tagen ein Torwart-Titan erwächst, fällt auch mit einer Extra-Prise Optimismus schwer. Aber die Bit-Bots sind eben abgewichste Profis. Zweifel, dass Hambot – so der Name des neuen Torwarts – am 8.4. seinen ersten Feldeinsatz bei den IranOpen haben wird, hat hier niemand. Und wenn er nicht ganz perfekt funktioniert, wird eben weitergeschraubt. Das ist sowieso mit eingeplant.

Denn Hambot ist die Zukunft. Der Neue soll auf lange Sicht die aktuellen Spieler ersetzen. Ihre kleinen Serienroboter mit dem Markennamen Darwin-OP gefallen den Hamburgern nicht mehr so richtig und entsprechen ihrer Open-Source-Philosophie auch nur bedingt. Der südkoreanische Hersteller Robotis hat von den kleinen Robotern tausende gefertigt und verkauft sie für jeweils rund 12.000 Euro. Zwar können die Hamburger auch den Darwin selbst reparieren, aber nur die Mechanik. „Ist die Elektronik defekt, sind gleich 1000 Euro fällig“, sagt Bit-Bots Teamleader Nils Rokita.

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Die Hamburger wollen aber langfristig lieber auf eine Roboterplattform setzen, die tatsächlich durch und durch Open Source ist – und damit komplett in Eigenregie repariert werden kann. Und da die Bit-Bots sich schon seit längerem einen größeren und leistungsfähigeren Spieler wünschten, haben sie eben selbst einen entwickelt. Streng dem Open Source-Gedanken folgend wird Hambot auch keine Geheimnisse mehr haben: „Wir veröffentlichen unsere Pläne für Hardware und Software noch bevor wir in den Iran reisen“, sagt Nils.

Ein größerer Roboter passt den Hamburgern aber auch noch aus einem anderen Grund gut in den Kram. Sie wollen in den nächsten Jahren von der Humanoid-Kid-Size-Liga in die Teen-Size-Liga aufsteigen – und da brauchen sie ohnehin größere Spieler. Hambot ist mit 87 Zentimetern nicht nur fast doppelt so groß wie sein 45 Zentimeter-Kollege Darwin, sondern mit fünf Kilo Kampfgewicht auch zwei Kilo schwerer. Größe ist gut. Denn wer von oben aufs Spiel blickt, sieht weiter. Auch unsere Vorfahren haben sich aus diesem Grund aus allen Vieren zum aufrechten Gang erhoben. Vor allem aber hat der Neuzugang mehr Grips: Entsprach der Darwin-OP mit einer Rechenleistung eines Uralt-Notebooks eher einem Höhlenmenschen, kommt Hambot mit Chips, die auch in aktuellen Oberklasse-Smartphones verbaut werden, im Vergleich daher wie Stephen Hawking.

Die erhöhte Rechenleistung ermöglicht es nicht nur, das Mehr an Sensoren-Eindrücken sinnvoll zu verarbeiten, sondern auch mehr Servomotoren zu verbauen und den Roboter damit sportlicher auflaufen zu lassen. So hat Hambot etwa ein zweimotoriges Hüftgelenk, mit dem er sich anders als seine Darwin-Kollegen auch auf einem schrägen Untergrund bewegen kann. Durch das Gelenk schiebt er seinen Oberkörper vor, zurück oder seitwärts und gleicht so Schwankungen aus. Das ist allerdings auch nötig, denn ein größerer Roboter ist auch anfälliger für Schwankungen. Und falls er trotzdem stürzt, hilft ihm das Plus an Rechenleistung dabei, eleganter aufzustehen.

Bislang ist das allerdings noch Theorie. Denn genau genommen hat Hambot noch keinen Finger krumm gemacht: Als Substanz das Team zwei Wochen vor Abflug besucht, warteten seine Erschaffer noch auf Einzelteile. Und so relaxt, wie sie zu sein scheinen, sind sie auch gar nicht. Man merkt es ihnen nur nicht an. „Wir waren gestern bis elf Uhr nachts hier“, sagt Marc Bestmann, der hier an der Universität Hamburg nicht nur Informatik studiert, sondern ganz nebenbei auch noch der Projektleiter der Bit-Bots-Hardware ist.

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Es wird wohl noch die eine oder andere Spätschicht dazukommen, denn die Liste der Dinge, die bis zum Abflug in den Iran noch erledigt werden müssen, ist so lang wie der Kassenzettel eines Wocheneinkaufs einer Großfamilie. Und neben all den organisatorischen Aufgaben müssen sie eben auch noch den Torwart fertig kriegen. „Hambot muss noch das Aufstehen lernen, die Software wird noch angepasst und kleinere Fehler beseitigt. Wichtig ist auch noch die Bildverarbeitung auf weiße Bälle anzupassen. Ach ja, und packen müssen wir ja auch noch“, sagt Nils.

Wird schon. Denn die Bit-Bots wissen: Auf eine Stunde mehr oder weniger Arbeit kommt es jetzt auch nicht mehr an. Zur Not wird eben auf dem Flug noch gebastelt. Und nach den IranOpen geht die Arbeit weiter: Künftig soll Hambot seine Qualitäten nicht nur als Torwart beweisen, sondern auch als Feldspieler aufs Kunstgrün stürmen und den Ball im Tor versenken. „Hambot wird deutlich sportlicher, dehnbarer und flexibler als die alten Darwins“, sagt Marc. „Das macht es aber auch deutlich komplizierter, so eine Maschine zu entwerfen und zu bauen.“

Etwa 2000 Arbeitsstunden hat das Bit-Bots-Team schon jetzt in ihren Hambot gesteckt. Echte Eigenentwicklung kostet Zeit: Platinen, Steuerungen, mechanische Komponenten, wie Ober- und Unterschenkel samt Gelenken – ganz zu schweigen von der Programmierung. Jetzt muss Hambot zeigen, ob er so funktioniert, wie gedacht. Werden die Platinen im Kunststofftorso auch nicht zu heiß? Werden sich Software und Mechanik verstehen? Oder wird erst mal gar nichts gehen und das Team nächtelang auf Fehlersuche sein? Warum sie das alles tun? „Wir wollen die Forschung voran bringen“, sagt Nils. Irgendwann sollen auch andere Roboterfußball-Teams Hambot einsetzen und ihn noch weiter optimieren.

Die Evolution der Robo-Fußballer ist mit dem Darwin jedenfalls noch lange nicht am Ende angelangt. „Vom Darwin sind eigentlich alle genervt“, sagt Marc. Vor allem weil das Ding so teuer sei und wenig könne. „Der Hambot“, sagt Nils, „ist viel günstiger, hat mehr Kraft, ist schneller, hat bessere Reaktionen und ist im Erkennen von Objekten um Welten besser.“ Nur beweisen muss er das eben noch. Was jetzt schon klar ist: Hambot wird benutzerfreundlicher. Er hat einen soliden Tragegriff, falls er vom Feld getragen werden muss. Ausgeknocked hängen die Fußballroboter nämlich so schlaff in der Landschaft herum, wie eine Marionette, an dessen Strippen keiner zieht.

Zudem bietet der neue Roboter mehr Interaktions-Möglichkeiten. Auf seinem Rücken prangt statt Name und Spielernummer ein Touchscreen. Darüber kann man ihm direkt Befehle eintippen. „Das ist viel einfacher als am Laptop“, sagt Marc. Die Darwins müssen dafür erst per Kabel an einen Rechner angeschlossen werden. Zudem hat Hambot viel mehr Vokabeln auf Lager als der kleine Darwin. Über die Sprachausgabe macht er seine Erbauer auf seine Befindlichkeiten aufmerksam. Etwa: Schließ mal das Kabel für den Motor in meinem linken Knie wieder an. Auch das dient der Forschung: In Zukunft sollen uns Roboter das Leben schließlich leichter machen. In dem sie einen komplizierten Code auf dem Bildschirm anzeigen, ist keinem geholfen – da ist Klartext gefragt.

Die wichtigste Neuerung für Hambot aber ist seine Beweglichkeit. Mit drei Freiheitsgraden in der Schulter kann er nun endlich vernünftig einen Ball einwerfen – anders als die aktuellen Spieler, die den Ball zwar auch einwerfen, aber in der Regel nicht aufs Spielfeld. Überhaupt sind brauchbare Hände für einen Torwart ja bekanntlich ein Geschenk Gottes: „Bislang nutzt aber kein Team die Hände des Torwarts – weil keiner einen echten Torwart hat“, sagt Nils. Momentan stehen die Torwarte nur als Hindernis in der Gegend rum – und allein schon deshalb wäre Hambot der bessere Keeper, schließlich ist er größer. Aber Hambot kann mehr. Dank des Hüftgelenks und des nun verbauten Beschleunigungssensors und Gyroskops, die die Lage des Roboters im Raum kontrollieren, kann er nun schneller reagieren und sich – wenn es sein muss – kontrollierter auf die Seite schmeißen, als es ein Darwin könnte.

Drücken wir also die Daumen für die kommenden Matches bei den Iran Open. Wer Hambot sofort live erleben möchte, kann natürlich über Ostern nach Teheran fliegen. Etwas einfacher wird es aber bei der Deutschen Robo-Cup-Meisterschaft Ende April in Magdeburg. Substanz bleibt dran und kommt in Kürze mit dem Spielbericht.

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