Der Wüstenforscher

Der Homo Sapiens kam aus Afrika nach Europa. So viel steht fest. Doch welchen Weg hat er genommen? Der Geologe Stefan Kröpelin hat sich auf Spurensuche gemacht, in einer der menschenfeindlichsten Gegenden der Welt: der Sahara.

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Stefan Kröpelin
Hier stand vermutlich noch nie ein Mensch zuvor. Und wenn doch, dann ist es sehr lange her. Vorsichtig beugt sich Stefan Kröpelin hinab, er geht in die Knie, tastet den schroffen Untergrund unter seinen Schuhen ab. Der Boden glitzert in der Wüstensonne. Salzablagerungen. Es sind Momente wie dieser, die Stefan Kröpelin, 63, Geo-Archäologe, in seinen Forschungsvorhaben bestätigen. „Es ist unfassbar“, sagt er, „da schicken wir eine Sonde 500 Millionen Kilometer auf einen Kometen, um Gesteinsproben zu untersuchen. Und hier, im tiefsten Krater des Emi Koussi, dem höchsten Berg der größten Wüste der Erde, hat noch nie jemand Proben genommen.“

Bis jetzt.

Im Frühjahr dieses Jahres ist Kröpelin mit einem Team der Universität Köln auf eine vierwöchige Expedition in das Tibesti aufgebrochen, ein Vulkanmassiv im Nordwesten des Tschad, mitten in der Sahara. Hier, an einem der menschenfeindlichsten Orte der Erde, hofft Kröpelin Beweise zu finden. Beweise dafür, auf welchem Weg und unter welchen klimatischen Bedingungen der Homo Sapiens vor über 100.000 Jahren aus dem subsaharischen Afrika nach Europa kam. So lautet die zentrale Fragestellung des Sonderforschungsbereichs „Unser Weg nach Europa“, den die Universitäten Köln, Bonn und Aachen seit 2009 betreiben.

„Hier, im tiefsten Krater des Emi Koussi, dem höchsten Berg der größten Wüste der Erde, hat noch nie jemand Proben genommen.“

Stefan Kröpelin

Es gibt verschiedene Theorien darüber, wie der moderne Mensch von Äthiopien aus nach Europa gelangte. Eine Hypothese besagt, dass der Mensch über das Horn von Afrika nach Saudi-Arabien kam. Eine andere geht davon aus, dass der Mensch dem Lauf des Nils folgte. Kröpelin dagegen glaubt, dass die ersten Menschen direkt durch die Sahara gezogen sind. Auf ihrer Wanderung müssten sie demnach auch das Tibesti-Gebirge durchquert haben.

Die diesjährige Expedition führt Kröpelin und sein Team deshalb genau hierher, in das Trou au Natron im Nordwesten. 3445 Meter hoch ragt hier der Emi Koussi empor, 60 mal 80 Kilometer misst die Grundfläche des schwer erreichbaren Vulkanmassivs. Kürzlich entdeckte Ablagerungen von Grün- und Kieselalgen sprechen dafür, dass es in seinem Krater vor mehr als 10 000 Jahren einen über 100 Meter tiefen Süßwassersee gab. Kann das sein? Wann ist die Sahara am Ende der vorletzten Eiszeit ergrünt? Was hat dazu geführt? Wie war das Klima damals? Und wie lange hielt diese Feuchtphase an? Das wollen die Forscher herausfinden. Und damit zu einem besseren Verständnis der Klimageschichte der Sahara während der letzten 200 000 Jahre beitragen.

Für Kröpelin ist es nicht die erste Expedition in die Sahara. Er hat sein Forscherleben der Wüste verschrieben. Schon als kleiner Junge wollte er Archäologe in Ägypten werden. Sein Vater musste ihm Pyramiden aufzeichnen. Er las die Bücher von Karl May, mindestens zehn Mal hat er „Lawrence von Arabien“ im Kino gesehen. Als er 18 Jahre alt war, brach Kröpelin schließlich zu seiner ersten Reise auf. Sie führte ihn von München nach Nepal – und durch die iranischen, afghanischen und pakistanischen Wüsten. 25.000 Kilometer insgesamt, zurückgelegt in einem alten VW-Bus. „100 Mark hat der Bus damals gekostet“, erinnert sich Kröpelin. Das war 1970.

Heute, 45 Jahre und über 50 Sahara-Expeditionen später, fliegt Kröpelin von der tschadischen Hauptstadt N’Djaména in das Tibesti-Gebirge, in einer alten russischen Antonov, einer Militärmaschine des Präsidenten. „Ohne gute Kontakte geht hier gar nichts“, sagt Kröpelin. Von der kleinen Oase Bardai aus geht es in vier Geländewagen weiter zum Tibesti-Massiv. Ein extrem schwieriger, langer und anstrengender Weg liegt vor den Forschern; allein der Aufstieg auf den Emi Koussi wird mindestens zehn Tage dauern.

Das alles, sagt Kröpelin, erfordert eine monatelange Planung. „Für eine einzige Stunde Geländearbeit in der Wüste muss man manchmal eine Woche Vorbereitungszeit rechnen.“ Forschungsanträge müssen abgestimmt und geschrieben werden, geeignete Teams zusammengestellt, Kooperationen mit afrikanischen Institutionen aufgebaut, und Reisegenehmigungen beantragt werden. Und schließlich die Ausrüstung: Lebensmittel- und Wasservorräte, Treibstoff, Ersatzteile und Medikamente für Notfälle – auf alles müssen die Forscher während der oft monatelangen Expeditionen vorbereitet sein. „Wenn da draußen etwas Schlimmeres passiert, wird es kritisch“, sagt Kröpelin. Bis zum nächsten größeren Ort mit einer Klinik sind es manchmal bis zu 2000 Fahrkilometer. „Schon ein entzündeter Blinddarm kann da lebensgefährlich werden.“

Trotz aller Gefahren zieht es Kröpelin jedes Jahr wieder hier hinaus, in die Wüste. In eine Gegend, in der es kaum mehr gibt als Sand, Felsen und Stille. An Orte, an die sonst kaum jemand hinkommt, an denen manchmal seit tausenden von Jahren kein Mensch mehr gewesen ist. Orte, wo noch nie geforscht wurde. Auch Teile des Emi Koussi sind bis heute unberührt.

Mit elf Dromedaren und sieben Kameltreibern geht es tagelang den kargen Vulkan-Hang hinauf – und dann 400 Höhenmeter hinab in die Caldera. Dann wieder hinauf auf den Rand des Era Kohor, ein zweiter Vulkan mitten im Emi Koussi, und nochmals 400 Meter hinunter in dessen Krater – zu steil für die Tiere. Die Forscher müssen die Ausrüstung zu Fuß in den Krater tragen. Unten angekommen macht sich Kröpelin sofort auf die Suche. Mit einem hammergetriebenen Kernbohrgerät bohren er und sein Team nach Sedimenten eines fossilen Sees. Doch schon nach kurzer Zeit stößt der Bohrer auf harten Untergrund, die Forscher müssen abbrechen – zu groß ist die Gefahr, dass die Salzkruste über ihren Köpfen einbricht. Doch dann, 100 Meter weiter oben am Hang, findet Kröpelin endlich das, wonach er gesucht hat: Diatomite – verwitterte Reste von Sedimentgestein. Die strahlend weißen Krusten, auch bekannt als Kieselgur, bestehen aus Schalen fossiler Kieselalgen; ein Kubikzentimeter dieser pulverförmigen Substanz enthält etwa eine Milliarde davon.

Die Forscher sägen meterdicke Blöcke aus dem Sediment, wickeln sie in Klarsichtfolie ein, fixieren die Pakete mit Klebeband und verstauen sie vorsichtig in Aluminiumkisten, damit die kostbaren Funde während des holprigen Transports nach Deutschland nicht zu Bruch gehen. Es sind die ersten Seeablagerungen, die jemals im Krater des Era Kohor entnommen wurden.

Nach fünf Wochen kehren die Forscher zurück an die Universität Köln, im Gepäck fünf Aluboxen, gefüllt mit mehr als 100 Kilogramm Gesteinsproben. Kröpelin würde die Proben am liebsten sofort auspacken und zur Analyse in die Laboratorien schicken. Er vermutet, dass die Diatomite aus dem frühen Holozän stammen, der letzten Nacheiszeit vor rund 10.000 Jahren. Die älteren Ablagerungen könnten aus dem Eem sein, der vorhergehenden Warmzeit vor rund 120.000 Jahren.

Doch bis er Gewissheit hat, muss sich Kröpelin noch gedulden. „Die Probenentnahme selbst ist erst der Anfang“, sagt er, „die Analysen sind noch viel aufwändiger.“ Das Problem: Es gibt nur wenige Spezialisten auf der Welt, die die Proben verlässlich untersuchen und datieren können. Und diese Spezialisten, sagt Kröpelin, müsse er erst einmal organisieren und gegebenenfalls einstellen.

Und das heißt wieder: Anträge stellen, Berichte schreiben, auf Bewilligung hoffen. Das Entscheidende nach so einer Reise, sagt Kröpelin, sei das Publizieren der Ergebnisse. „Doch leider fließt die Tinte bei mir ziemlich langsam. Lieber würde ich die Strapazen der Expedition noch einmal wiederholen, als alles niederzuschreiben“.

Bis die ersten Datierungen aus dem Labor vorliegen, wird es noch Monate dauern; die geochemischen Analysen und die Auswertungen der Pollen und Diatomeen erfordern vielleicht sogar Jahre. In der Zwischenzeit plant Kröpelin die nächsten Reisen: Im Oktober will er zurück in die Sahara, dieses Mal ins Ennedi, ein labyrinthartiges Sandsteinplateau im Nordosten des Tschad. Und anschließend, im Frühjahr nächsten Jahres, führt seine Reise ihn wieder ins Tibesti – immer auf der Suche nach weiteren Puzzle-Steinen für die Klimageschichte der großen Wüste.

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