Erst der Spaß, dann der Hirnschaden: Ecstasy, LSD und Psilocybin gelten als gefährliche Partydrogen. Zu Unrecht, sagen Neurowissenschaftler und Psychiater: Die Substanzen könnten in der Psychotherapie viel bewirken – wenn man sie endlich ungehindert erforschen dürfte.
Manchmal steigt David Nutt in ein schwarzes Taxi ein, irgendwo in London. In seinen Händen hält er dann eine Metallkassette, die fest verschlossen ist. Den Inhalt der Kassette hat er zuvor einem Kühlschrank entnommen, von einer Kamera überwacht. Wo der Kühlschrank steht, wer ihn bestückt mit dem Material, das Nutt für seine Arbeit braucht, will er nicht verraten. Denn in der Kassette transportiert der 63-Jährige illegale Drogen, für deren Besitz er bei jeder Polizeikontrolle sofort verhaftet würde. Offizielle Dokumente, die er stets bei sich trägt, schützen ihn davor.
Im Jahr 2010 zählte ihn das Wissenschaftsmagazin der Tageszeitung The Times zu den 100 wichtigsten Forschern Großbritanniens, als einzigen Psychiater auf der Liste. Drei Jahre später erhielt der Mediziner den renommierten John-Maddox-Preis – eine Auszeichnung für Forscher, die sich mit Leidenschaft für die Wissenschaft einsetzen und dabei auch mal gegen den Strom schwimmen. „David Nutt ist die Stimme einer neuen, internationalen Bewegung, die den Blick auf Drogen verändern möchte“, sagt Sophie Macken, Direktorin von DrugScience, einer von Nutt gegründeten unabhängigen Wohltätigkeitsorganisation, die sich der Erforschung von Drogen verschrieben hat und dafür internationale Experten zusammenbringt.
Alle drei Substanzen sollen das Bewusstsein erweitern, den psychisch Kranken ein Gefühl der Verbundenheit mit der Welt geben. Und ihnen helfen, sich in ihrem Leben neu zu orientieren. Nicht nur bei Ängsten und Depressionen haben die Drogen in ersten Studien gute Ergebnisse gezeigt. Auch bei Zwangserkrankungen, der Rauchentwöhnung und dem Alkoholentzug sind sie womöglich hilfreich. „Ob sich diese Substanzen tatsächlich bewähren, muss sich aber noch zeigen“, sagt Borwin Bandelow, Psychiater an der Universitätsmedizin Göttingen – weswegen er die Arbeit von renommierten Kollegen wie David Nutt begrüßt.
Der wünscht sich vor allem, dass sich die Diskussion über die Substanzen und deren Wirkung verändert. „Ich will wissenschaftliche Fakten verbreiten, keine Meinungen“, sagt der britische Psychiater. Dafür fliegt er um die Welt, zu Vorträgen nach Neuseeland, Schweden, Portugal, dafür reist er durch Großbritannien. An diesem Donnerstag wird er mit Schülern in der Cokethorpe School nahe Oxford sprechen, wo Eltern jährlich 15.000 Euro zahlen, damit ihre Kinder später mal ebenso privilegiert sind wie sie. Kinder, denen Nutt gleich erzählen wird, dass an der Partydroge Ecstasy nur sehr selten Menschen sterben. Seltener als bei einem unter den Schülern beliebten Freizeitsport.
Der weiße Kies knirscht unter seinen Schuhen, als David Nutt mit schnellen Schritten zum Queen-Anne-Haus läuft, im 18. Jahrhundert Sitz des Lordkanzlers. In den Vortragssaal strömen Schüler in dunklen Anzügen und Krawatten, Schülerinnen in dunklen Röcken, mit langen, samtig schimmernden Haaren. Bald läuft der stämmige Mediziner vor den Schülern hin und her, fährt mit seinen großen Händen durch die Luft, schnaubt unter seinem mächtigen Schnurrbart. „Ich möchte, dass ihr die Wahrheit über die Risiken verschiedener Drogen erfahrt“, sagt Nutt ernst. Menschen stürben vor allem an Drogen, weil sie nicht wüssten, was sie eingenommen hätten, oder weil sie zu viel davon genommen hätten. Und nirgendwo in Europa würden so viele Drogen konsumiert wie in Großbritannien. Daher sei es wichtig, über die Substanzen Bescheid zu wissen und über deren Gefahren. Er empfehle niemandem, Drogen zu nehmen. „Doch wenn ihr welche nehmt, solltet ihr genau wissen, was ihr tut“, fordert er. Mal könne es zu Versagen der Leber oder Nieren kommen, zu Herzinfarkten oder Hirnblutungen. Doch letztlich seien manche Drogen nicht gefährlicher als das Reiten – eines der exklusiven Hobbys der Cokethorpe-Schüler.
Als Nutt diesen Vergleich 2009 in einem Fachartikel zum ersten Mal anstellte, handelte sich damit eine Menge Ärger ein. Die britische Klatschzeitung Daily Mail nannte ihn „einen gefährlichen Mann“, die Regierung entließ ihn aus ihrem Drogenberatergremium. „Jetzt kann ich endlich frei reden“, sagt Nutt.
Im Vortragsraum der Schule ist es sehr still, als Nutt auf die moralische Verurteilung des Drogenkonsums zu sprechen kommt. „Wir Briten sind noch immer vom Puritanismus geprägt“, sagt Nutt. Jeder Genuss sei demnach etwas Schlechtes, etwas Unmoralisches, so auch der Genuss von Drogen. „Manchmal fürchte ich, dass ich gegen diese verkrusteten Meinungen nie ankommen werde“, ruft der Psychiater mit dröhnender Stimme.
Nutt will nicht urteilen, sondern die Fakten aufarbeiten. 2010 veröffentlichte er im Fachjournal The Lancet eine Rangliste verschiedener legaler und illegaler Drogen – abgestuft danach, wie viel Schaden sie dem Menschen zufügen, der sie nimmt, und wie sehr sie anderen Menschen schaden, die von seinem Drogenkonsum betroffen sind. Viele nationale und internationale Gremien haben solche Ranglisten aufgestellt. „Mit Wissenschaft hatten die bislang wenig zu tun“, sagt Nutt.
„Wir Briten sind noch immer vom Puritanismus geprägt. Manchmal fürchte ich, dass ich gegen diese verkrusteten Meinungen nie ankommen werde.“
David Nutt
Für seine Rangliste brachte der Mediziner Spezialisten aus aller Welt zusammen. Sie analysierten unabhängig voneinander, wie viele Menschen an der jeweiligen Droge sterben, ihr Suchtpotenzial und wie stark sie geistige Funktionen durcheinanderbringt. Sie begutachteten aber zum Beispiel auch, wie oft Drogen zu Unfällen führen oder zu aggressivem Verhalten. Und inwiefern die Substanzen von großen Drogenkartellen verkauft werden und damit ganze Bevölkerungsgruppen ins Unglück stürzen. Null Punkte standen dabei für eine völlig ungefährliche Substanz, 100 dagegen für die schädlichste Droge. Mit 72 Punkten steht eine legale Droge an der Spitze: Alkohol, gefolgt von Heroin und Crack (55 und 54 Punkte). Ecstasy erreichte bei der Auswertung gerade einmal neun von 100 Punkten.
Das überrascht Rick Doblin wenig. Er leitet im kalifornischen Santa Cruz die Organisation MAPS (Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies). Seit 29 Jahren fördert MAPS die Erforschung bewusstseinserweiternder Substanzen, besonders auch Studien mit dem in Ecstasy enthaltenen Amphetamin MDMA. Vor allem Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sollen von der Therapie profitieren – Opfer sexuellen Missbrauchs oder Zeugen eines Überfalls zum Beispiel.
Derzeit laufen weitere Studien in Israel, Kanada, der Schweiz und den USA, eine davon im Bundesstaat South Carolina. Dort werden vor allem Veteranen der Kriege im Irak und in Afghanistan behandelt, aber auch ein Polizist und drei Feuerwehrleute, von denen einer am 11. September 2001 im World Trade Center im Einsatz war. Bis Mitte 2016 soll die Studie abgeschlossen sein. „Die Kosten müssen wir ganz allein aufbringen, meist über Spenden. Allein für die internationale Studie sind das 1,3 Mio. Euro. Das ist mühsam“, sagt Rick Doblin. Die meisten Spenden kämen von Privatleuten, manchmal auch von Firmen. Im Februar zum Beispiel überwies ein Unternehmen, das anonym bleiben möchte, rund 78.000 Euro für die neue Untersuchung. „Wir beginnen unsere Studien immer schon, bevor wir sie vollständig finanziert haben“, sagt Doblin. Von der US-Regierung wurde bislang keine ihrer Untersuchungen unterstützt.
Im April 2016 möchte Doblin die erste britische Studie mit dem Ecstasy-Wirkstoff MDMA bei Menschen mit PTSD durchführen, gemeinsam mit Nutt und weiteren Kollegen. „Mit Hilfe von David Nutt findet diese Forschung nun in der wissenschaftlichen Welt Gehör“, sagt Doblin. Inzwischen kommen auch Vorstellungen ins Wanken, die lange als gesicherte Tatsachen galten – zum Beispiel die, dass MDMA Hirnzellen zerstört. In neuropsychologischen Tests konnten keine negativen Folgen eines regelmäßigen Konsums der Droge gefunden werden, ergab eine Studie aus dem Jahr 2011. „Das ist eine wichtige Substanz, mit durchweg guten Ergebnissen“, sagt der Hannoveraner Psychiater Torsten Passie.
Auch bei anderen psychedelischen Drogen wird erforscht, ob sie einen therapeutischen Nutzen haben könnten. An der New York University fand die bislang größte Studie mit Psilocybin statt. Fünf Jahre lang wurden 31 Krebspatienten, die an schweren Ängsten litten, im Rahmen ihrer Psychotherapie zusätzlich mit dem Pilzwirkstoff behandelt.
Da Psilocybin die Wahrnehmung verstärke, sei das richtige Setting für die Einnahme der Substanz enorm wichtig. Für die Studie wurde ein Raum mit Sofa, Sesseln und Skulpturen eingerichtet, um eine geschützte Atmosphäre zu schaffen. „Allein die richtige Musik für die Studienteilnehmer auszuwählen war enorm aufwendig“, berichtet Guss. Einen Sommer lang trafen sich die Kollegen jede Woche und hörten verschiedene Musikstile durch. Viele Musikstücke fielen aus, weil sie zu stark mit bestimmten Gefühlen verbunden sind, klassische Symphonien erschienen den Forschern zu dominant. Schließlich entschieden sich Guss und seine Kollegen für meditative Instrumentalmusik, ohne Worte.
Noch sind die Forscher dabei, die Studienergebnisse auszuwerten. „Ich habe zehn der Probanden persönlich begleitet und kann sagen, dass es allen danach besser ging“, sagt Guss. Sie empfanden ihr Leben als bedeutungsvoller als vorher, fühlten sich ihren Freunden und ihrer Familie näher als früher. Und sie fühlten sich wieder fähig, ihr Leben in die Hand zu nehmen und neue Pläne zu schmieden.
Die Vorbehalte gegenüber LSD sind besonders groß, das erlebte auch der deutsche Psychiater Passie als Gastprofessor an der Harvard University. In den 60er-Jahren lehrte an dieser Eliteuniversität Timothy Leary – der inzwischen legendäre Psychologe, der Studenten für seine Experimente mit Psilocybin und LSD rekrutierte. Auch mit Strafgefangenen führte Leary Drogenexperimente durch, im festen Glauben, dass psychedelische Substanzen die Gesellschaft grundsätzlich verändern und mehr zur Lösung psychologischer Probleme beitragen konnten als jedes konventionelle Medikament. 1963 musste Leary Harvard verlassen und avancierte zur Ikone der Hippiebewegung.
Noch in den 60er- und 70er-Jahren hatten umfangreiche LSD-Studien stattgefunden. Eine neue Analyse von Studien jener Zeit legt nahe, dass eine einzige Einnahme von LSD bei der Therapie von Alkoholabhängigen helfen kann. „Auch wenn die Studien eine geringere Qualität hatten als heute, deuten die Ergebnisse auf das Potenzial von LSD hin“, sagt Passie. 1966 wurde die Droge in Großbritannien verboten, ein Jahr später zog Deutschland nach. Hierzulande war die Therapie mit LSD nur noch mit spezieller Erlaubnis möglich. An der Uni Göttingen fanden bis zum Jahr 1986 noch Experimente mit LSD statt – bis der Lehrstuhlinhaber in Rente ging. „Seither passiert in Deutschland nicht mehr viel“, sagt Passie.
Vor Jahrzehnten schon war LSD in Verruf geraten, weil die Droge – ähnlich wie Psilocybin – in der falschen Umgebung zu furchterregenden Erfahrungen führen, Menschen extrem unruhig und gewalttätig machen kann. Nebenwirkungen, die Bandelow skeptisch machen. „Ich glaube nicht, dass allein die Umgebung die Risiken der psychedelischen Drogen minimieren kann“, sagt der Mediziner. Wie und ob eine Substanz ihre Wirkung entfalte, hänge von so vielen Faktoren ab: ob jemand viel oder wenig geschlafen habe, viel oder wenig gegessen, wie sein Gemütszustand vor Einnahme der Droge sei. „Das lässt sich nicht kontrollieren, zumal noch so wenig über die Wirkung der Drogen bekannt ist“, sagt Bandelow. Daher sei es wichtig, zunächst zu erforschen, was genau im Gehirn der Konsumenten passiert, um das Potenzial der Substanzen realistisch einzuschätzen – wie etwa in den Studien des britischen Kollegen Nutt.
Doch dafür muss Nutt gegen viele Widerstände kämpfen. Mindestens einmal pro Jahr kontrolliert die Polizei seine Laborräume. „Wenn man mit illegalen Drogen forscht, werden einem sogleich kriminelle Absichten unterstellt“, sagt er. Gerade hat auch er eine Studie mit LSD abgeschlossen, hat dabei die Veränderung der Hirnaktivität gesunder Probanden im Kernspintomografen untersucht.
„LSD ist eine der sichersten Drogen, die wir kennen“, sagt Nutt, in seiner Gefahrenrangliste liegt die Substanz noch hinter Ecstasy. Vorläufig will er nichts über seine Studienergebnisse verraten. „Doch zeigen uns unsere Daten, dass LSD bei Depressionen helfen könnte“, sagt Nutt. Bereits vor etwa vier Jahren hatte er Ähnliches für Psilocybin herausgefunden. Mit verschiedenen Methoden untersuchte er, wie die Substanz sich auf die Durchblutung und elektrische Aktivität des Gehirns auswirkt, und stellte fest, dass Psilocybin bestimmte Hirnregionen herunterreguliert. „Darunter waren auch Regionen, die bei depressiven Menschen überaktiv sind“, sagt Nutt. Darum will der Mediziner Psilocybin für die Therapie depressiver Patienten nutzen, bei denen keine andere Behandlung mehr hilft. Im Mai dieses Jahres hat die Studie begonnen.
Sein amerikanischer Kollege Rick Doblin von der Organisation MAPS hat noch ehrgeizigere Ziele: Bis zum Jahr 2021 soll die dritte psychedelische Droge MDMA zur Therapie in den USA zugelassen sein – um Menschen mit traumatischen Erfahrungen zu helfen. „Wir haben schon so viel erreicht“, sagt Doblin. „Jetzt lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen.“•